Rezensionen Rezension: Purpose – die Marketingperspektive reicht nicht
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- von Markus Kiefer, Heiligenhaus
Wie steht es um den Purpose? Wer hat das Thema aufgebracht und wie ist die Beschäftigung mit der überzeugenden Darstellung des Unternehmenszwecks heute in den Unternehmen verankert? Eine Bestandsaufnahme liefert der hier anzuzeigende Sammelband von Schaeffer-Poeschel, herausgegeben von Andreas Baetzgen, Professor für Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, der zuvor schon mit interessanten Marketing- und Marken-Publikationen aufgefallen ist. Er hat für diesen Band 20 Beiträge aus der Marketing-Praxis zusammengestellt. Klare Empfehlung, aber die PR-Perspektive fehlt.
Genau 15 Jahre ist es her, dass der amerikanische Werbestratege, Berater und spätere Bestseller-Autor Simon Sinek den Welterfolg „Start with why“ schrieb. Gemeinhin wird dieses Buch als die Geburtsstunde zum späteren Siegeszug des „Purpose“ in der Marketingstrategie vieler Unternehmen betrachtet.
Sinnfrage gestellt
In seinem viel zitierten „Golden Circle“ erweiterte der Brite das Was und das Wie in den klassischen Marken-Bestimmungen um das Warum. Und rückte damit die Sinnfrage in die Marketingstrategien von Unternehmen und Organisationen. Fortan war und ist es gefordert, den stärkeren Nutzen für Gesellschaft und Umwelt zu orchestrieren – und zwar sowohl in der Ausgestaltung von Produkt-Marken, aber vor allen in den Unternehmens-Marken.
Das, was bislang vor allen in den klassischen Konstrukten von Mission und auch Vision Bestandteil sowohl von Corporate Identity als auch von Marken-Strategien war, stand von nun an immer stärker unter der Frage: Was leistet Dein Unternehmen, was leistet Dein Produkt eigentlich für andere? Und zwar nicht nur zum persönlichen Konsum, zum individuellen Vergnügen und zur Unterhaltung des Einzelnen. Sondern letztlich als Beitrag für eine bessere Welt.
Purpose als Gegenakzent
Es entstand geradezu eine Purpose-Bewegung, nicht zufällig mit Verve nach den massiven Finanz- und Wirtschaftskrisen, zur gleichen Zeit ausgelöst letztlich durch mehr oder weniger gewissenlose Investment-Banker. Die Orientierung an einem sinnstiften Purpose, zwangsläufig immer auf einer Werte-Achse verortet, war und ist ein naheliegender Gegenakzent, damals und heute.
Es ist an der Zeit nachzusehen, was die Unternehmen hier zwischenzeitlich geschaffen haben. In seinem Sammelband liefert Baetzgen Antworten und Beispiele. Gleich zu Beginn führt er selbst verlässlich ins Thema ein. Er zeigt auf, wie und warum ein moderner Brand-Purpose den individuellen Nutzen mit gesellschaftlichem Nutzen verbinden kann. Allein schon seine Schaubilder (S. 19 -21), in denen er das bekannte Werte-Schema von Shalom Schwartz in beispielhafte Purpose-Statements von Unternehmen überträgt, wäre schon Stoff genug für lebendige Workshops und Seminare, in Unternehmen und Hochschulseminaren. Ein Purpose kann sowohl für Produkte als auch für Unternehmen als Ganzes gedacht werden. Orientierend in dieser Hinsicht Baetzgens entsprechende Systematik: Purpose als a) Teil der Geschäftsstrategie, b) als Teil von CSR- und Nachhaltigkeitsstrategien und c) als Teil von Marketingstrategie.
Praxis und Erfahrung im Vordergrund
Nach den theoretischen Grundlagen im Kapitel 1, durch die beiden in das Buchthema einführenden Aufsätze von eben Baetzgen und seinem Berliner Hochschul-Dozenten-Kollegen Dominic Veken und dem Kapitel 2 mit drei starken, eher soziologisch orientierten Beträgen zur Analyse der immer stärker spürbaren Sinnsuche in der Gesellschaft und möglichen authentischen Purpose-Antworten hierauf (Christoph Kamps, Ines Imdahl, Hannes Fernow), folgen die ausführlichen Kapitel 3 und 4, in denen deutlich die Berater-Perspektive dominiert. Alle Autorinnen und Autoren dort stammen aus etablierten, teils namhaften Marketing-Agenturen. Und sie tun hier alle das Gleiche. Sie führen ihren jeweiligen Purpose-Prozess als das Erfolgs-Modell ein.
Teils überschneidet sich das, teils werden eigene Akzente gesetzt. Eine empirische Grundlage? Eher nicht. Das Allermeiste ist nicht durch Forschung unterlegt. Sondern aus Praxis und Erfahrung abgeleitet. Das muss ja nicht schlecht sein. Und dennoch spürt der Leser die Verkaufs-Orientierung der allermeisten Beiträge durchaus. Mit Ausnahmen, wie zum Beispiel dem Erfahrungsbericht des früheren Handelsblatt-Geschäftsführers Frank Dopheide, der später die Purpose Agentur human unlimited mit Sitz in Düsseldorf gründete. Dopheide will dem Leser nichts verkaufen. Stattdessen lässt er ihn tiefe und sehr konkrete Einblicke in den Kulturwandel-Prozess des Handelsblatt-Verlags nehmen – und wie hieraus Purpose-Strategien und -Formulierungen wurden. Sehr beeindruckend, sehr frisch geschrieben.
Wie politisch sollten Marken kommunizieren?
Sehr innovativ auch der Beitrag von Stefan Hannen, der ausgewiesener Fachmann und Berater in der Investor Relations-Kommunikation ist und den gestiegenen Stellenwert eines glaubwürdigen Purpose in der Kapitalmarktkommunikation ausleuchtet. Ausgesprochen spannend ist auch das Vorkapitel (Kapitel 5) mit zwei inspirierenden Beiträgen von Matthis Kaiser und Henrik Niehaus / Jonathan Faerber. Beide Aufsätze thematisieren die Haltungsfrage: Wie politisch und wie aktuell gesellschaftspolitisch dürfen, sollten oder gar müssen Marken heute kommunizieren? Eine besondere Rolle spielt dabei die Nike-Kampagne mit und um den aus Protest knieenden US-Footballstar Kaepernick (#BlackLifeMatters).
Die meisten Beiträge des Buches sind wirklich inspirierend für alle Managerinnen und Manager, die an einem authentischen Purpose ihres Unternehmens arbeiten und feilen wollen. Ein großes Defizit hat das Buch aber dennoch. Es ist fast komplett aus der Marketing-Perspektive geschrieben. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn das Purpose-Thema ist in den meisten großen Unternehmen im Marketing angesiedelt, nebst angeschlossenen Marketing-Dienstleistern, -Beratern und -Agenturen.
Unternehmenskommunikation muss stärkere Rolle spielen
Die Fachleute der Unternehmenskommunikation, der PR und Medienarbeit werden eben oft erst gerufen, wenn die Arbeit fertig ist. Dann sollen sie es an die Stakeholder (mit) vermitteln. So verhält es sich auch in vielen Beiträgen des Buches. Der Purpose müsse und solle dann auch durch das Kommunikationsmanagement vermittelt werden, heißt die wohlfeile, aber stets viel zu allgemein bleibende Forderung. Das WIE dieser Vermittlung, die Medien und das Timing, die Kanalfragen (Text, Bild, Bewegt-Bild, Audio etc.), das alles bleibt außen vor. Und hätte doch ein paar Beiträge aus der Feder von Kommunikationsfachleuten verdient. Oder einen eigenen, PR-dominierten Sammelband zur Frage: wie kommuniziere ich einen zeitgemäßen Purpose adäquat? Gerade weil es ja um die Unterscheidbarkeit in Bezug auf Vertrauenswürdigkeit und gelebte Werte geht, sollte die Unternehmenskommunikation nicht als Verkünder der vom Marketing geschaffenen Lösungen missverstanden werden. Sondern von Beginn an mit an Bord sein, mindestens intergiert, wenn nicht sogar federführend.
Titel: Brand Purpose. Wie Marken nachhaltig Werte schaffen; Herausgeber: Andreas Baetzgen; Verlag Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2022; Umfang: 299 Seiten; Preis: 49,00 Euro; ISBN-Nr. 978-3791054414
Über den Autor der Rezension: Professor Dr. Markus Kiefer (65, Foto) war von 2010 bis Ende des Sommersemesters 2022 hauptberuflich an der FOM – Hochschule tätig, als Professor für Allgemeine BWL, mit dem Schwerunkt Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Seit dem Wintersemester 2022 nimmt er an der FOM und im Wechsel an weiteren Hochschulen Lehraufträge mit Schwerpunkt PR und Unternehmenskommunikation wahr.
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